Warum haben wir Gefühle?
Der erste und wichtigste Satz an dieser Stelle: Unsere Gefühle entstehen durch die Stillung oder Nichtstillung unserer Bedürfnisse.

Das klingt im ersten Moment ungewohnt, da wir oft davon ausgehen, dass andere Menschen Schuld an unseren Gefühlen sind. Und tatsächlich sind andere Menschen oftmals Auslöser unserer Gefühle, da diese anderen Menschen eben eines unserer Bedürfnisse stillen oder nicht stillen. Ob sie das bewusst oder unbewusst machen, spielt an dieser Stelle keine Rolle. Viel wichtiger ist zu erkennen, dass andere Menschen, welche uns die Erfüllung eines Bedürfnisses verweigern, zwar Auslöser, jedoch nicht der Grund für unsere Gefühle sind. Der Grund für unsere Gefühle (positive wie negative) sind unsere eigenen Bedürfnisse.

Anhand eines Beispiels lässt sich dies gut verdeutlichen:
Person A sitzt im Theater. Der Künstler kommt von der Bühne, denn er braucht einen freiwilligen Helfer. Person A hat das Bedürfnis nach Sicherheit und für diese Person ist die Bühne nicht mit Sicherheit verknüpft (vorherige Erfahrungen o. Ä.). Sagt der Künstler der Person nun: „Komm bitte mit auf die Bühne“, wird Person A höchstwahrscheinlich unsicher werden oder Angst kriegen. Sie wird also ein negatives Gefühl bekommen. Dieses wurde sicherlich durch den Satz des Künstlers ausgelöst, jedoch ist der Künstler nicht der Grund für das Gefühl, sondern das nicht gestillte Bedürfnis nach Sicherheit.

An diesem Beispiel erkennt man sehr schön, dass andere Menschen Gefühle zwar auslösen können, sie jedoch nicht der Grund für das Gefühl sind. Der Grund ist eben in unseren gestillten und nicht gestillten Bedürfnissen zu finden. Denn das Beispiel kann man noch weiterspinnen.

Im Theater sitzt noch eine weitere Person, die auf die Bühne soll. Person B. Diese hat jedoch das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit. Diese Person möchte im Mittelpunkt stehen. Sagt der Künstler zu dieser Person: „Komm bitte mit auf die Bühne“, wird Person B sehr wahrscheinlich fröhlich und positiv erregt sein. Warum? Weil durch den Satz „Komm bitte mit auf die Bühne“ sein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit gestillt und durch die Stillung des Bedürfnisses ein positives Gefühl ausgelöst wurde.

Was wir daraus lernen können, ist Folgendes:
1.
Andere Menschen sind nicht der Grund für unsere Gefühle, sondern der Auslöser. Sie lösen das Gefühl dadurch aus, dass sie unsere persönlichen Bedürfnisse stillen bzw. nicht stillen.

2. Jeder Mensch fühlt anders, da die Bedürfnisse eines jeden Menschen anders ausgeprägt sind.

3. Wir sollten unsere Gefühle nicht auf andere übertragen, da ein und dieselbe Situation bei zwei Personen zwei vollkommen unterschiedliche Gefühle auslösen kann.

Kinder haben ein ebenso breites Spektrum an Emotionen wie wir Erwachsene, sie haben nur noch nicht gelernt, diese vollkommen zu beherrschen.
Denk nur mal an dein eigenes Leben und an das Wechselbad der Gefühle, das du manchmal durchlebt hast- wie einschneidend die letzte Verliebtheit war und wie erschüttert du warst, als du zuletzt zurückgewiesen wurdest. Gefühle begleiten uns das ganze Leben. Sie können uns zerstören und mit aller Macht treffen oder uns wachsen lassen und mit Stolz erfüllen.
Der Umgang mit Gefühlen erfordert sowohl Übung als auch Mut. Über beides verfügen Kinder noch nicht in demselben Maße wie Erwachsene.
Sie müssen ihre Gefühle erst noch kennenlernen, und es ist unser Auftrag als Eltern, ihnen dabei zu helfen. Es ist eine große Lebensaufgabe- und ein langwieriger Prozess, aber es lohnt sich 🙂

Allzu leicht vergessen wir, wie groß der Unterschied zwischen den Gehirnen von Kindern und denen Erwachsener ist. Kinder und Jugendliche haben Hirne, die noch in der Entwicklung sind. Sie werden häufig von ihren Gefühlen überwältigt, wissen aber nicht wohin damit.
Unser Gehirn ist erst mit etwa Mitte zwanzig voll entwickelt.

Gefühle als Sprachrohr
Claas, ein Junge von 10 Jahren, kam vor einiger Zeit zu mir. Die Schule hatte in Absprache mit den Eltern dafür gesorgt. Claas hatte Wutanfälle, die sich häufig in der Schule gegen Lehrer und Mitschüler richteten.
Auch fehlte Claas das Verständnis für die Konsequenzen – Kinder machen Sachen, die weniger harmlos sind, als sie dachten, verletzender, als sie wollten. Nicht selten gebrauchen sie Gefühle nur als Vehikel, um Dinge auszudrücken, die sie nicht auf andere Weise sagen können.
Claas sagte zu mir, dass er wütend sei, weil ihm niemand richtig wahrnimmt, und Zuhause herrscht gerade Chaos.
Permanent wütend zu sein, war die einzige Ausdrucksweise, die er kannte, um zu sagen, dass etwas nicht in Ordnung war. So kommunizieren Kinder, so gut es ihnen möglich ist.

Kinder zeigen eine Reaktion, und uns Erwachsene in ihrem Umfeld fällt die Verantwortung zu, die Erklärung dafür zu finden. Dann hat die Wut einen >Wert<, dann bewirkt sie etwas Positives.
Ich persönlich glaube auch, dass wir an Kinder manchmal zu hohe Ansprüche stellen.
Ja, Kinder tun Sachen, die wir nicht möchten, sie beißen andere Kinder, quälen andere, stellen Dinge über andere ins Internet, machen ihre Bücher kaputt, vergessen Dinge. Sie benehmen sich schlecht.
Doch wenn wir nur sehen, was sie tun, und nicht danach fragen, wo dieses Verhalten herrührt, dann lassen wir die Kinder im Stich.
Gefühle sind nicht grundlos, sie versuchen uns etwas mitzuteilen. Wir Erwachsenen haben die Pflicht, genau hinzuhören, um die Ursache dafür herauszufinden.

Detektivarbeit
Doch wie gelingt es dir, genau hinzuhören und herauszufinden, was sich hinter den Gefühlen oder dem unverständlichen Verhalten verbirgt?
Sei neugierig! Werde zum Detektiv, wenn Situationen entstehen, in denen die Emotionen hochkochen. Frage: >Was ist hier los?>

Damit hilfst du deinem Kind, mit der Zeit seine eigenen Emotionen zu verstehen. Es muss seine Gefühle wiedererkennen, sie einordnen können und lernen, sie zu benennen.
Manche Kindern fällt es leicht, über ihre Gefühle zu sprechen, andere kommen als verschlossenen Austern auf die Welt. Doch wir alle sollten ausdrücken, was in uns vorgeht – das fördert unser inneres Wachstum und bringt uns einander näher. Deshalb brauchen auch alle Kinder Erwachsene in ihrem Leben, die sich unmissverständlich äußern und ihre Gefühle klar in Worte fassen können.

Eltern sind genauso verschieden wie Kinder – manche finden es einfach, über dies und das zu reden, während andere so gut wie noch nie geäußert haben, wie es ihnen geht. Manchmal reicht ein wenig Smalltalk aus.
Finde heraus, wie der Tag deines Kindes gewesen ist. Kinder kennen mehr oder weniger drei Antworten auf die Frage, wie ihr Tag verlaufen ist: > gut>, schlecht > oder >< ganz in Ordnung>. Das sie sich das bewusst machen können und dass ihre Antwort akzeptiert wird, ist eine wertvolle Lektion fürs Leben. Ruhig nachhaken: Ach ja? erzähl! und so vielleicht noch ein, zwei Sätze mehr erfahren. Es geht in diesem Gespräch um ein spielerisches Herauskitzeln, nicht ums Verhören. Es mag banal klingen, ist aber sinnvoll, weil dein Kind dadurch lernt, innezuhalten, seinen Gefühlen nachzuspüren und diese zu erklären.

Verbotene Gefühle gibt es nicht
Wir Erwachsene können manchmal ganz schön unsensibel sein, wenn wir mit den Gefühlen anderer konfrontiert werden. Nichts lässt tränen stärker fließen als die Aufforderung, nicht zu weinen, und es bringt nichts, die Gefühle eines Kindes herabzuwürdigen. Dann zerstört man nur etwas.
Alle Gefühle, wie Wut, Kummer, Frustration und Verzweiflung und alle anderen Emotionen sind ein Teil von uns. Sie zu verbieten, ist keine gute Lösung! Kinder bedeuten ihre Gefühle etwas, und sie zu müssen wissen, dass für sie Raum ist – auf diese Weise wird es ihnen rascher gelingen, selbst die tiefsten und übermächtigsten Gefühle in den Griff zu bekommen,

Auf dem Spielplatz z.B. fällt mir oft auf, dass einige Eltern und es ist nicht selten zur Gewohnheit geworden, Dinge wie diese zu äußern: >Na, bist du nicht schon zu groß dafür, um so zu schmollen?>, Willst du wirklich vor allen Leuten so ein Benehmen an den Tag legen?>, Sei nicht so kindisch!> Ist doch nicht so schlimm!>, Da brauchst du keine Angst haben!>
Selbst wenn diese Kommentare einem leicht über die Lippen kommen, verwehrst du deinem Kind damit seine Gefühle – und das belastet die Beziehung zwischen dir und deinem Kind.
Man kann nicht immer das Richtige sagen, aber es ist von Vorteil, sein Bewusstsein dafür zu schärfen, weil diese Situationen ständig auftreten.

Ich weiß auch, wie leicht es ist, über die Gefühle von Kindern hinwegzusehen. Wenn sich meine Tochter Lia wehgetan hatte, hätte ich leicht sagen können: Das war doch nicht schlimm. Hopp, hopp, weiter gehts!
Aber vielleicht hat es ja wirklich wehgetan?
Wenn dein Kind von diesem oder jenem Gefühl überwältigt wird, solltest du es zuallererst ernst nehmen und ihm dann Hilfestellung bei der Überwindung geben: Hat du dich gestoßen und hast du dir wehgetan? Uff, das sah nicht gut aus! Versuch doch mal, dich wieder auf ein Bein zu stellen. Prima! Willst du jetzt weiter spielen?

Auf diese Art stellt dein Kind eine Verbindung zwischen dem her, was in ihm vor sich geht, und dem, was um es sich herum geschieht. Dein Kind lernt zu benennen, was passiert ist, und dass sich das Geschehene überwinden lässt. Diese Lösung ist immer besser, als seine Gefühle zu unterdrücken.

Vermitteln wir als Eltern unseren Kindern, dass ihre Gefühle falsch sind, werden sie irgendwann glauben, dass etwas mit ihnen nicht stimmt, und es wird ihnen schwerfallen, sich selbst zu vertrauen. Das macht es deinem Kind schwerer, seine Emotionen zu kontrollieren und aufkommende Schwierigkeiten zu lösen. Haben Kinder das Gefühl, dass sie bestraft werden, weil sie äußern, wie es ihnen geht, und dass sie das, was in ihrem inneren vor sich geht, nicht mitteilen können, geben wir ihnen vergleichsweise schlechtere Voraussetzungen an die Hand. Dann rauben wir ihnen nötiges Selbstvertrauen und Geborgenheit.

In meinen Workshops gehe ich mit den Kindern Gefühle durch.

Das alle Gefühle okay sind, aber gewisse Handlungen eben nicht.

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